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Wo Gandalf Urlaub macht

Die Nebel über den mächtigen Bergen des Mount Chirripo

SEELENARBEIT IST KEINE HÖHENFAHRT. ES IST EIN TIEFER STURZ IN EINE UNVERSÖHNLICHE DUNKELHEIT, DIE DICH NICHT LOSLÄSST, BIS DU DAS LIED FINDEST, DAS DICH NACH HAUSE SINGT.

McCall Erickson

Es zieht mich zurück nach Pérez Zeledón, in die Mitte des Landes, auf einer Hochebene gelegen, Kühe grasen hier und sind umgeben von Bergen, einer von ihnen ist der Chirripo, das 3.800 m hohe Dach Costa Ricas. Pérez Zeledón. Fritz sagt es hört sich an wie ein Ort, an dem Gandalf Urlaub machen würde. Ich finde, er hat es gut getroffen. Es ist meisterhaftes Reiki, wie er die Energie dieses Ortes beschreibt: Hier sind die Hobbits durchgezogen, und Gandalf macht hier deswegen Urlaub, weil die Berge Schutz bieten, weil die Nebel um die Berge herum immer sichtbar sind und weil Nebel die erste mystische Form der Manifestation von Materie aus dem Nichts ist. Hier beschreibe ich zum ersten Mal, dass das Wesen der Wildheit die Unschuld ist, das ewig währende Sein im gegenwärtigen Moment, das sich nicht versündigt, weil es zu 100 % im Einklang ist, in Harmonie. Das Wilde, das im Rhythmus der Natur schwingt und das niemals auch nur ansatzweise etwas forcieren würde, das nicht Teil des göttlichen Plans der Liebe ist. 

Ich habe den runden Stein aus Finca 6, der ein halbes Jahr lang in meiner Wohnung in Düsseldorf lag, der mein Zuhause aktiviert hat und dessen kleine Schwester immer noch bei mir liegt und pulsiert, diesen runden Finca 6 Stein, in die Wildnis geworfen, an der Stelle, wo ich vor drei Tagen den Puma gesehen habe. Gleich hinterher habe ich den Apfel geworfen, nachdem ich ihn zweimal angebissen habe: für jeden der Sternenhimmel einmal.  Ich blättere zurück in meinem Tagebuch. Diese beiden Sternenhimmel, das war ein magisches Traumbild aus meinem Traum im Airporthotel im Mai 2022. Dort habe ich die Nacht verbracht, nachdem wir mit der Lufthansa-Maschine in San José gestrandet sind und ich beschloss, zurück nach Puerto Jiménez zu fliegen, um den Birder zu sehen, den Guide, mit dem ich zusammen den ersten Puma gesehen habe. (*Ein Birder ist ein Natural Guide, der sich auf die Vogelwelt spezialisiert hat.)

Der erste Sternenhimmel war schön, aber blass. Dann flog der zweite Sternenhimmel ein. Es war magisch. Kristallklar und unermesslich kam er auf mich zu, flog in meinen Traum ein um mich dann vollständig mit seinem Glanz zu umhüllen. Im Eindruck des ersten, blassen Sternenhimmels bin ich dann aufgestanden im Morgengrauen und habe mich auf den Weg gemacht, zu dem unausweichlichen Rendezvous mit dem Guide. Ich rätsele bis heute über die Bedeutung des zweiten.

Soviel zu den beiden Sternenhimmeln, und zu der Eva in mir, die zweimal in den verbotenen Apfel biss. 

Aber hier soll es nicht um die beiden Begegnungen mit den beiden Pumas gehen, sondern um den letzten Kaffee, den ich in Costa Rica getrunken habe. Ich traf den Real Estate Consultant unter dem Vorwand, diesen Kaffee trinken zu müssen, von dem er bei unserem letzten Treffen geschwärmt hatte. Was ich eigentlich wollte, war mich gar nicht klar. Irgend etwas in diesem Ort, an diesem Mann musste noch geklärt werden. Sein Großvater väterlicherseits ist zu 100 % indigenous. Vielleicht ein Verwandter von Gandalf. Es gibt ein Verständnis zwischen uns auf einer schamanischen Ebene. Ausserdem gibt es in der Näheren Umgebung eine Lodge, in der spirituelle Retreats abgehalten werden, dort wurde eine Waldorfschule errichtet und der Ort sieht im Internet aus wie ein auf dem Feng-Shui-Reißbrett entwickeltes Hobbit-Dorf. Akademisch. 

Als ich ankomme, bin ich nicht enttäuscht. Ich bin schockiert. Es gibt keine Bäume. Ich bin auf einer Art Golfcourse gelandet. Hier hätte Gandalf sicherlich nicht Urlaub gemacht. Obwohl er in einem lustigen Zelt geschlafen hätte, sehr fancy Matcha-Kombucha-Lime-irgendwas aus selbstgetöpferten Bechern getrunken hätte und in hängenden Sesseln einen spektakulären Blick auf die umliegenden Berge hätte geniessen können. Aber ich schweife schon wieder ab. 

Wir trinken also Kaffee in dieser ecologischen Kaffeefarm. Reden über Grundstücke, und stellen fest, dass dieser Kaffee als europäische Anlaufstelle ausgerechnet nach Düsseldorf distribuiert wird. Wir beschliessen, gleich im Anschluss noch ein weiteres Grundstück zu besichtigen, aber vorher muss ich die Kaffeefarm gesehen haben. Ich bezahle für uns beide, schliesslich widmet er mir seine Freizeit, und ob ich etwas kaufe hier, das steht in den Sternen. Es ist eben nicht Osa. Als ich an der Kasse, vor dem aufgeklappten Laptop von Katerine stehe, die mir die Rechnung präsentiert, bemerke ich eine Art kleiner Skulptur zwischen mir und dem Laptop. Irgendjemand muss hier etwas liegenlassen haben. Ich schaue genauer hin: Es sieht aus wie die Darstellung eines Vogels. Ich schaue NOCH genauer hin: Es ist ein Vogel. Er ist tot. Ich stosse einen Laut aus: Katerine klappt ihren Laptop zu und jetzt sieht sie es auch: Sie schreit. Ein toter Vogel mit einem gelben Bauch. Der Real Estate Consultant sagt: Zu dumm. Sie lassen sich immer wieder täuschen, fliegen vor die Scheibe und schaffen es nicht. Es ist ihr Verderben. Für mich ist es die Manifestation des Endes mit diesem Birder. Seit 1,5 Jahren sehe ich in jedem Vogel, der an mir vorbeifliegt, diesen Guide. Ich wünschte mir jedesmal, dass dieser Vogel meine Sehnsucht über den Atlantik trägt in sein Herz und dass es lebendig werde. Aber dieses Herz wird nicht lebendig, und es bleibt Lichtjahre weit entfernt von unschuldiger Wildheit. Jetzt liegt dieser tote Vogel vor mir. Ich bezahle. Gehe.

Genau 24 Stunden später sitze ich im Garten meines Cousins in Santa Ana und warte auf mein Uber, das mich zum Flughafen bringen soll. Ein Vogel mit einem gelben Bauch kommt geflogen und setzt sich auf die Stuhllehne neben mir. Dann fliegt er auf das Dach des Nachbarhauses. Stößt zwei laute Schreie aus. Die ganze magische Szenerie ist nur darauf angelegt, dass ich diesen gelbbäuchigen Vogel auf jeden Fall bemerke. Ich bemerke ihn, danke liebes Universum, das hat funktioniert, und die Botschaft ist klar: in diesem lebendigen Vogel ist kein Funken mehr von dieser Birder-Seele zu spüren, sein totes Herz liegt ein für alle mal begraben hinter dem Laptop von Katerine, der Checkout-Lady. Dieser Vogel hier ist etwas neues, gänzlich Unbekanntes. Das Taxi klingelt. Der Vogel mit dem gelben Bauch zwitschert vergnügt aus ganzem Herzen und fliegt weiter. Das ist mein Seelenlied. Die Nebel über den Bergen von Pérez Zeledón beginnen sich zu manifestieren.