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Kassiopeia

Lasst uns leben wie ein Schamane auf Safari

INTUITION IST DEINE SEELE, DIE DEINEM HERZEN DIE WAHRHEIT ZUFLÜSTERT UND HOFFT, DASS DU SIE HÖRST.

Kate Spencer

Der Taxifahrer hat mein Herz erobert.

Ich bin gut in der Zeit. Der Verkehr in San José im Dezember ist unbeschreiblich, man muss ihn erlebt haben. Alle sind unterwegs, um ihr 13. Monatsgehalt auszugeben. Nein, ich möchte am liebsten keine Klimaanlage, wir können das Fenster einen Spalt öffnen, das ist mir lieber. Er versteht mich, bemüht sich sehr mit Englisch, denn mein Spanisch hat sich zu meinem Bedauern nicht wirklich entwickelt in den letzten Wochen. Die Straßen sind bunt und quirlig, katastrophal voll, aber dieser Mann lässt direkt nach nur 100 Metern Stop and Go eine lange Schlange von wartenden Linksabbiegern gegenüber durch, wenn doch nur alle so wären. Lacht und winkt mit großer Geste hinter seinem Steuer, gibt an der nächsten Kreuzung einer alten Frau eine Münze, und hält sogar an, damit ich ein Foto machen kann, weil die untergehende Sonne so unglaublich golden in mein Fenster scheint, und sogar mein Flugzeug dahinter. Ich meine, der Junge ist 23 und Uber-Fahrer. So geht es die nächsten 45 Minuten fröhlich weiter. 

Als ich 20 Stunden später in Düsseldorf in einem grauen Taxi sitze, denke ich wehmütig an diesen lebenslustigen jungen Mann zurück, der wie ein Engel durch das Chaos jonglierte und überall den anderen Verkehrsteilnehmern liebevoll und zuvorkommend begegnet ist, ohne dabei aus den Augen zu lassen, dass ich ja irgendwann am Airport erscheinen musste. Ich bin mir sicher, wäre er so rücksichtslos gefahren wie dieser Taxifahrer hier im grauen Düsseldorf, wären wir dennoch keine Sekunde eher angekommen. 

Ich muss an die Schildkröte Kassiopeia in Michael Endes Momo denken, diese Schildkröte, die ganz langsam, manchmal sogar rückwärts ihrem rettenden Ziel entgegenschleicht, immerhin geht es um Leben und Tod. Und während die grauen Herren völlig gehetzt im Stechschritt unterwegs sind, und am Ende niemals ankommen, schafft sie es immer, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein, um ihr Ziel zu erreichen und die Welt zu retten.

Costa Rica lässt mich also mit dem besten Eindruck zurück, und drückt einen weiteren magischen Stempel in mein Herz.

Alle Begegnungen werden zu kassiopeianischer Magie. 

Auf dem kurzen Flug von Paris nach Düsseldorf sehe ich dieselbe untergehende Sonne im Fenster gegenüber, wie gestern Abend in San José. Kurz denke ich – wie schade, dass ich nicht auf der anderen Seite sitze, das wäre ein tolles Foto geworden. Dennoch spüre ich eine plötzliche Sehsucht nach meinem Fotoapparat. Mit der Langsamkeit einer Schildkröte, mit dem Mut und der Intuition der Kassiopeia stehe ich ungeachtet der blinkenden Anschnallzeichen auf und hole meine große Kamera aus dem Gepäckfach über mir. Als ich wieder sitze, wird mir klar, warum ich das getan habe: Das Flugzeug fliegt eine weite Kurve und plötzlich scheint für einen ganz kurzen Moment die untergehende Sonne unglaublich golden durch mein Fenster, und daneben sieht man den Mond, und sogar ein Flugzeug, was für ein deja vu. 

Wir landen in einem dramatischen Grau. Ich habe sie vermisst, diese heimatliche Stimmung. Jetzt wird mir warm ums Herz. Ich bin eine Winter-Frau. 

„Schau ihr in die Augen, dieser Winterfrau. In ihrer grauen Weite kannst du die Zukunft sehen. Sieh aus deinen eigenen Winteraugen. Auch du kannst die Zukunft sehen.“ Patricia Monaghan